Die verschwiegenen, fremden Federn

Bei meiner Besprechung der DGS-Mitgliederzeitschrift Soziologie, Heft 1 aus dem Jahr 2018 will ich mich ganz auf den Artikel zur Sozioprudenz konzentrieren. In diesem feiern und beweihräuchern sich Clemens Albrecht und Joachim Fischer (zu Unrecht) als die Entdecker und Erfinder der ‚Sozioprudenz‘, einer praktischen Soziologie. Hatte J. Fischer bislang immer recht heftig bestritten, daß ein Soziologe wie H. Plessner eine praktische Verhaltenslehre intendiere; und z. B. gegen H. Lethen nachdrücklich darauf bestanden, daß Plessner eine ‚Sozialtheorie der Grenze‘, aber keine Verhaltenslehre, keine Sozioprudenz gebe; behauptet er nun, offensichtlich vom Erfolg des Konzeptes berauscht, daß alle relevanten Soziologen des 20. Jahrhunderts eine prudentistische Absicht gehabt hätten oder zumindest ‚prudentistisch‘ gelesen werden könnten.
 

Es ist dies, was ich seit mittlerweile rund 20 Jahren zu etablieren und in die akademischen Köpfe zu bringen versuche. Eine Lehre praktischer Klugheit durchzusetzen, angesichts eines hierarchisch-zunftartigen Übermaßes und Übergewichts, das mit Macht alles Nonkonforme aus dem universitären Betrieb ausschließt. Und mit Unkenntnis oder Desinteresse auf derartige Vorschläge reagiert. Sei es in der Philosophie, wo die gesamte Lebenskunst ausgeschlossen wird, oder eben in der Soziologie, wo ich schon oft die Probe machte, und feststellen mußte, daß viele Fachvertreter nicht einmal verstehen, was mit der ‚Sozioprudenz‘ (Andreas Schwarz) gemeint und beabsichtigt ist. Nämlich die Soziologie zu einer praktischen und relevanten Lehre zu machen. Der Praxisbegriff der Sozialwissenschaften meint ja heute eine Zuwendung zu empirischen Forschungsmethoden. Will man den Studierenden die ‚Praxis‘ vermitteln, so steckt man sie in Kurse und Praktika für empirische Sozialforschung. Doch mir ging es seit jeher um einen ganz anderen Praxisbegriff; was aber, wie gesagt, bislang überhaupt nicht begriffen wurde.

Was Fischer / Albrecht hier – mich imitierend – jetzt machen, geht in die richtige Richtung, verflacht dann aber auch in empirischer Kulturwissenschaft (Ethnologie des Alltäglichen) und einer harmlosen Gesprächsschulung. Damit hat das Konzept eine sehr gravierende Verengung erfahren. Was mich höchst unzufrieden macht. An seiner neuen Stätte will Prof. Cl. Albrecht jetzt offensichtlich die bemerkten Defizite seines bisherigen Verständnisses von Sozioprudenz kompensieren, und sie nun auf Organisationen anwenden; freilich wieder ohne meinen Namen überhaupt zu erwähnen. Denn diesen Gedanken, eines derartigen Einsatzes der Klugheit, der eigentlich auch die ursprüngliche Absicht der Sozioprudenz war, habe ich schon 1995/96 ersonnen und 10 Jahre …